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Dancing Queen – nur ohne Abba

Derzeit krame ich viel in alten Unterlagen und Fotos herum. Das liegt daran, dass ich ein bestimmtes Foto suche, auf dem ich aussehe, wie meine Oma. Also nicht, wie (m)eine alte Oma, sondern wie meine Oma als Kind.

Dazu muss ich viele dubiose Kisten durchwühlen. Dass diese Kisten so „Kraut und Rüben“ sind, liegt daran, dass ich vor ca. zwei Jahren, als ich nach dem Tod meiner Eltern mein Elternhaus aufgelöst habe, irgendwann keine Nerven mehr hatte, das ordentlich zu machen.

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Ab mit dem Zeug in den Karton!

Ich habe vor lauter Stress die Sachen nur noch unsortiert in besagte Kisten geschaufelt nach dem Motto: Erst mal einpacken, auf den Dachboden schieben und später gucken, was weg kann.

Tja, und diese Kisten beamen mich unmittelbar in meine Kindheit.

Beim Durchflöhen der vielen Fotos wird mir nochmal klar, dass ich im Prinzip ein sehr braves und pflegeleichtes Kind war. Ich war überhaupt nicht aufrührerisch und wurde nur selten pampig.

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Mit Dirndl und Puffärmeln konnte man doch nur eines sein: brav

Allerdings hatten mir meine Eltern schon früh einen bestimmten Satz eingetrichtert, für den ich ihnen sehr dankbar bin:

„Kind, lass dir bloß nix gefallen!“

Das lag daran, dass sich meine Mutter selber nur ungern gewehrt hat, weil sie von ihrer Mutter (also meiner Oma, der ich so ähnlich sehe) den Satz „Was sollen die Leute denken.“ eingeimpft bekommen hat.

Mein Vater dagegen, hatte einen Vater (also mein Opa), dem es piepsschnurzegal war, was die Leute dachten. Und das war es auch meinem Vater. Daher hat er sich immer mal mit irgendwelchen Leuten angelegt, von denen er dann nicht mehr gemocht wurde, was ihm echt schnuppe war.

Mit dieser Polarität und dem obigen Satz bewegte ich mich also durch meine Kindheit und Jugend.

Und so begab es sich, dass ich einen Leserbrief schreiben musste, weil ich mich ungerecht behandelt fühlte. Zusammen mit meiner Freundin Christine, die bei meiner Oma um die Ecke wohnte. Bei meiner Oma war ich oft und gern.

Christine und ich waren quasi Stammgäste im großen Hamburger Park „Planten un Blomen“. Der lag nur einen Steinwurf entfernt von der Wohnung meiner Oma. Es verging kaum ein Tag, an dem wir uns nicht auf einem der dortigen Spielplätze vergnügten.

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Heißa – was kost‘ die Welt?

In den 70er-Jahren gab es dort außerdem noch regelmäßig Musik- und Tanzveranstaltungen. Besonders angetan hatten es uns die Wasserlichtkonzerte und der Musikpavillon.

Im Musikpavillon gab es nachmittags oft Tanzmusik. Jung und alt schoben sich über die kleine Tanzfläche. Jung waren Christine und ich. Alt, beige und nörgelig der Rest.

Dann kamen irgendwann die „Wärter“ (so nannten wir sie). Diese Wärter hatten die Aufgabe, für Recht und Ordnung im Park zu sorgen. Und es war nicht recht, dass da zwei bunte 9-jährige Mädchen zwischen den Älteren auf der Tanzfläche herumhopsten. Dabei hopsten wir gar nicht, wir tanzten ernsthaft und mit Bedacht.

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Die liefen tatsächlich so wärtermäßig dort herum, mit Mütze und so.

Doch es nützte nix. Immer wieder wurden wir von der Tanzfläche verscheucht, alle Versuche, uns unauffällig wiedereinzugliedern, wurden vereitelt.

Wir kochten vor Wut!

Und rauschten beleidigt ab nach Hause, also zu meiner Oma. Meine Mutter war auch da und wunderte sich, dass wir so früh zurück waren. Nachdem wir ausführlich und in aller Deutlichkeit die Lage geschildert hatten, hatte meine Mutter eine Idee.

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Ja, ich hatte eine dieser typischen Helmfrisuren.

„Wir schreiben einen Leserbrief ans Hamburger Abendblatt, um uns zu beschweren!“

Wir waren total aus dem Häuschen! Und meine Mutter war endlich einmal „aufrührerisch“, so wie ich sie noch nie erlebt hatte. Und dann legten wir los, mit vereinten Kräften. Meine Mutter an der Schreibmaschine, Christine und ich an ihrer Seite, während meine Oma schnell ein paar „Buchteln“ backte.

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Muttern in Action

Was für ein Spaß!

Nachdem also der Leserbrief von meiner Mutter per Schreibmaschine geschrieben und durch Christine und mich eingetütet war, flitzten wir zum Briefkasten und warfen ihn feierlich ein.

Hier der Wortlaut:

Am letzten Freitag gingen meine Freundin und ich nach Planten un Blomen. Dort spielte eine Musikkapelle, und es wurde getanzt. Auch wir wollten ein wenig mittanzen. Obwohl wir uns anständig benahmen, regten sich einige alte Leute auf und verlangten, dass wir die Tanzfläche verlassen sollten. Auch der Wärter sagte uns, tanzen wäre dort für Kinder nicht erlaubt.

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Da würde die Leserbriefredaktion des Hamburger Abendblatts aber Rede und Antwort stehen müssen!

Siegessicher marschieren wir wieder zurück, direkt in die Küche und verdrückten vergnügt die großmütterlichen Buchteln. Was für ein Tag! Hätten wir damals schon „Highfive“ gekannt, es wäre der richtige Augenblick dafür gewesen.

Tage später. Das Telefon klingelt.

Meine Mutter geht ran.

„Ja, guten Tag, hier ist Herr Soundso vom Hamburger Abendblatt. Ihre Kinder haben uns einen Leserbrief geschrieben. Und den möchten wir abdrucken. Dafür brauchen wir ein paar Fotos. Wann könnte wohl der Fotograf vorbeikommen und mit den beiden in Planten un Blomen Fotos machen?“

Als meine Mutter mir mitteilte, wer da angerufen hatte, fiel ich fast in Ohnmacht vor Glück. Und dann kam die Scham.

Fotos? Von mir? Beim Tanzen? Schluck!

An so weitreichende Folgen eines Leserbriefes hatte ich nicht gedacht. Christine übrigens auch nicht. Sie fand das ebenso peinlich wie ich.

Jetzt kriegten wir Muffensausen

Gleichwohl lockte uns auch die Vorstellung, dass wir jeder einen „Zwanni“ Honorar und die Fotos bekommen sollten. Das war ja nun doch nicht sooo schlecht. Dafür kann man sich dann auch mal fotografieren lassen. Hust.

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Ein paar Tage später war es dann soweit: Der Fotograf schlug bei meiner Oma auf, und wir marschierten mit ihm, verschämt kichernd, rüber nach Planten und Bloomen in Richtung Musikpavillon.

Blöderweise hatten wir vorher gar nicht geguckt, welche Art Tanzveranstaltung an dem Tag überhaupt stattfand.

Und es war beschämend:

Nur ein paar wenige verkrachte Existenzen schoben sich zu öder Musik über die Tanzfläche. Ganz anders als wir es gewohnt waren.

Kurzum: Es war gar nicht so recht was los.

Der Fotograf meinte, das reiche nicht, das sei nicht bildträchtig. Wir mussten tatsächlich einen neuen Termin verabreden, wenn dort auch wirklich getanzt wird. Was für ein Drama.

Bedröppelt zuckelten wir wieder nach Hause.

Also, zweiter Termin. Wir wieder hin da. Diesmal war ein wenig mehr los. Aber immer noch nicht vergleichbar mit den Tanzsessions, bei denen man uns von der Tanzfläche klaubte. Aber egal, einen dritten Termin wollte der Fotograf nun auch nicht machen.

Wir sollten uns also unauffällig unter die Tanzenden mischen…

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Vielleicht hätten wir uns auch einen Lampenschirm aufsetzen sollen, um älter zu wirken.

Wie ihr auf den Fotos seht, sind das echte Fred Astaires und Ginger Rogers, die da das Tanzbein schwingen. Und wir mittendrin, leicht unbeholfen – und mit Socken und Sandalen.

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Gute Miene zum bösen Spiel…

Unsere Moves wollten an diesem Tag nicht recht sitzen, uns war das Ganze einfach nur hochnotpeinlich.

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Und hoch das Bein…!

Wie sieht denn das später aus, wenn in dem Leserbrief steht, dass wir Wert darauf legen, genau dort zu tanzen?!? Mit all den Grufties!

Egal, nun war das Kind schon in den Brunnen gefallen.

Zähne zusammengebissen. Fotos gemacht.

Wieder zuhause angekommen, lachte sich meine Mutter komplett scheckig. Unseren Beschreibungen zufolge konnte sie sich die Tänzer und Tänzerinnen dort sehr gut imaginieren und freute sich schon diebisch auf die Fotos, die da irgendwann kommen sollten.

Wieder vergingen ein paar Tage. Ängstlich schauten wir täglich ins Hamburger Abendblatt. Christine und mir war wirklich gar nicht wohl. Da schreiben wir schon den ersten Leserbrief unseres noch jungen Lebens und machen uns damit gleich zum Gespött der Leute. Na super…

Und plötzlich war es dann soweit:

Unser Leserbrief war drin!

Mit einer Mischung aus Mulm und Grusel sahen wir das Foto. Und lasen unseren Text. Und die Antwort. Puh, so schlimm war es dann doch nicht. Man hatte den Tanzbildern offensichtlich kein Vertrauen geschenkt, gut so. Oder man wollte uns vor einer großen Blamage bewahren; noch besser. Man hatte sich für ein Motiv entschieden, auf dem wir weniger dösig daherkommen.

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Die Dame hinten links hatte einen besonders resoluten Tanzstil.

Unsere Anspannung löste sich und wir konnten endlich wieder kichern und freuten uns sogar, über das Gesamterlebnis und überhaupt. Und über die DM 20,00, die wir bald jede verbraten würden.

Mit der Antwort der Redaktion waren wir allerdings überhaupt nicht zufrieden. Keine Ahnung, was wir erwartet hatten, aber solche Sachen wie „Kindertanz in den Wallanlagen“ ging gar nicht. Dafür fühlten wir uns eindeutig überqualifiziert.

PS.
Ich mag ja die Musik von der Hamburger Band Tocotronic. Und dieses Video ganz besonders, denn: Der Drehort ist mein heißgeliebter Musikpavillon! :o)

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7 Kommentare zu “Dancing Queen – nur ohne Abba”

  1. Harald Strauß sagt:

    …schöne Anekdote aus den 1970ern. “Jugendschutz“…

  2. Lustige Geschichte!
    In meiner Kindheit war ich auch sehr oft in Planten un Blomen, das wir „IGA“ nannten (wegen der Gartenausstellung) – denn auch meine Oma wohnte gegenüber! Ans Tanzen erinnere ich mich allerdings überhaupt nicht, dafür an die Kleinbahn und die tollen Spielplätze. Heute werde ich immer ein büschn sentimental, wenn ich (viel zu selten) wieder dort bin…

    1. Wie lustig, Inga!

      Und ja, die IGA und diese tolle Kleinbahn. Die fand ich auch so spannend! Und den Spielplatz mit den großen Bergen!

      Ich glaube, ich werde auch total sentimental, wenn ich dort mal wieder hingehe. War schon ewig nicht mehr da.

  3. Liebe Sabine,

    kann ich gut verstehen, dass du an diesem Artikel hängst, ich habe mich scheckig gelacht, nicht nur über den Text, sondern auch über die Zeichnungen (und erst die Fotos). Rundum gelungen :-)

    1. Wie schön, liebe Monika, dass du dich scheckig gelacht hast. Das freut mich diebisch, da ich so gerne selber lache und auch gerne andere zum Lachen bringe.

      Ja, die Fotos! Diese Helmfrisur. Und diese Socken in Sandalen. Einfach hot! :o))

  4. Sandra sagt:

    Hahahaha :-) Tolle Geschichte!
    Da waren zwei „freie Kinder“ unterwegs und ich vermute, mindestens eine davon, hat sich dieses ICH bis heute bewahrt :-)
    Das Highlight am Ende: Tocotronic im Pavillon – cooles Video und für mich Erinnerungen an die 90er Jahre ;-)

    1. hihihi, schön, dass du mit mir kicherst.

      Ja, das freie Kind-Ich muss ganz schön ackern, um nicht unter all den strengen Erwachsenen-Ichs unterzugehen.

      Als ich das Tocotronic-Video entdeckte war ich hin und weg: MEINE Lieblingsband auf MEINER Tanzfläche. *gacker*

      Ich liebe dieses Video!

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