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Arschbombe in die Untiefen des Lebens

Heute bekommen Sie (am Ende dieses Textes oder per nachfolgendem Dropbox-Link) ein sehr persönliches Interview zu lesen.

So eines, bei dem ich mich seinerzeit fragte „Soll ich es wirklich geben?“  Und als ich letzte Woche mit klopfendem Herzen das Rezensionsexemplar in den Händen hielt: „Soll ich es wirklich veröffentlichen?“

Sabine-Dinkel-Comic

Soll ich oder soll ich nicht? Das ist hier die Frage…

Doch im Grunde meines Herzens finde ich es total befreiend, über Dinge zu sprechen oder zu schreiben, die sonst tabu sind. Weil das so oft Dinge sind, die wirklich jeden angehen, zum Beispiel Tod und Trauer. Die werden nur so gerne verdrängt, weil sie nicht gerade lustig sind; hab ich auch lange Zeit gemacht.

Und wenn man dann mal all seinen Mut zusammen nimmt und drüber schreibt und spricht, tun sich ganz neue Welten auf.

Immer diese Tabu-Themen

Das habe ich vor einiger Zeit schon beim Verlust meiner Eltern gemerkt. Da bin ich mit meiner Trauer auch (entgegen unserer Familientradition – meine Eltern würden sich im Grabe umdrehen) offen umgegangen und konnte dadurch anderen Menschen Mut machen – und meine Trauer gut bewältigen. Was ich dadurch für tolle Menschen kennengelernt habe, kann ich jetzt noch kaum glauben.

In diesem Interview hier geht es um meine Erkrankung, die mich im letzten November komplett lahmgelegt hat. Gleichwohl habe ich damals schon beschlossen: „So leicht kriegst du mich nicht, du Arsch! Und meinen Humor lasse ich mir von dir schon gar nicht nehmen!“ Mit dem Arsch war der Krebs gemeint, der sich widerrechtlich bei mir eingenistet hatte.

Irgendwann, als mir im Krankenhaus total die Decke auf den Kopf fiel, fing ich an, aus purer Verzweiflung einen Comic zu zeichnen. Einen, den ich ohne Perfektionismus einfach so hin huschte, egal ob die Perspektive stimmte oder die Hände aussahen wie Seesterne.

Sabine-Dinkel-Comic-UKE

Wähhhhh!

Und ich merkte: Der Comic hilft mir, den ganzen Mist zu verarbeiten und greifbar zu machen. Und irgendwann traute ich mich auch, ihn den Schwestern und der Psychoonkologin zu zeigen. Und meinen Freunden.

Alle ermunterten mich dazu, damit weiter zu machen und damit „raus“ zu gehen, ihn noch mehr Leuten zu zeigen – um anderen Betroffenen und ihren Angehörigen Mut zu machen, offen über solche Dinge zu sprechen.

Fast schon ein Buch

Und ich hab emsig weitergezeichnet und geschrieben. Inzwischen gibt es tatsächlich schon 32 kleine Kapitel. Es hat auch einen Namen: „Arschbombe in die Untiefen des Lebens“

Als ich mich vor einigen Monaten auf Facebook mit dem Comic einem eingegrenzten Kreis von Menschen öffnete, erfuhr ich so viel Wohlwollen und Ermutigung, wie damals bei meiner „Trauergeschichte“. Nein, sogar noch viel mehr!

Sabine-Dinkel-Comic-Chemo

Gestärkt durch alle 6 Chemos gegangen. Dank der tollen Unterstützung.

Mein Netzwerk, bestehend aus Freunden, Bekannten, Kollegen und Klienten, war nicht sprachlos, sondern traute sich, sich offen mit mir über meine Erkrankung auszutauschen. Auch erfuhr ich von anderen, dass sie ebenfalls mal an Krebs erkrankt waren und jetzt wieder guter Dinge sind. Das machte mir Mut.

Der Comic als bekömmlicher Vermittler

Ich glaube, der Comic war so eine Art Brücke.

Vielleicht, weil er ungeschönt, schwarzhumorig und rotzig ist. Vielleicht, weil er den Lesern und mir nicht zu viel abverlangt, aber dennoch ehrlich ist.

Sabine-Dinkel-Comic-Perücke

Liebe auf den ersten Blick – gibt es auch bei Perücken.

Denn genau das will ich gar nicht:
Mitleid heischen und als Häufchen Elend wahrgenommen werden (auch wenn ich das zeitweise war). Ich will auch nicht, dass sich die Menschen gruseln, wenn sie den Comic angucken und die Texte lesen.

Sie sollen sich informiert fühlen, gut unterhalten und eingeladen, sich mit mir auszutauschen. Und ab und zu die Daumen für mich drücken.

Und das ist auch der Grund, warum ich mich vor einigen Wochen getraut habe, der einfühlsamen Journalistin Stefanie Deckers dieses Interview zu geben.

Sie hatte mich kurz zuvor bereits zu meinem Buch interviewt. Und wir hatten so einen guten Draht zueinander, dass ich dachte „Ihr schenke ich mal reinen Wein ein, vielleicht machen wir ja mal was zusammen zum Thema „Ermutigung bei Krankheit“.

Tja, und zack, war es dann auch so.

Sabine-Dinkel-Perücke

Die ungeschönte Wahrheit: Selfie mit Perücke

Und gerade für mich als Coach ist es höchst wertvoll, mich dank der Erkrankung noch mehr auf die Essenz meines Lebens zu konzentrieren. Das fließt natürlich auch in meine Arbeit ein.

Schneller, höher, weiter -> Nö!

Und man glaubt es kaum: Es kann eine Befreiung sein, dem Tod mal scharf ins Auge zu blicken.

Wenn man eine doofe Diagnose bekommt, macht man, denke ich, automatisch diese existenzielle Erfahrung. Den „Worst Case“ habe ich vor Monaten gedanklich mehrfach durchgespielt und mit meinen Liebsten besprochen; alle Regelungen für den „Fall der Fälle“ sind getroffen.

Wichtig: Wenn man den Tod gedanklich annimmt, heißt das nicht, dass er in absehbarer Zeit die endgültige Realität sein wird. Nein! Denn ich habe schon vor, noch mal meinen Lebensball ganz weit ins Feld zu werfen!

Sabine-Dinkel-Comic-Freiheit

Mir hat das jedoch zu einer Freiheit verholfen, die vorher nicht vorstellbar war.

Ich werfe inzwischen unliebsame Zwänge, Verpflichtungen, Rollen und Vorstellungen genüsslich über Bord, um weiter das zu tun, was mich ausfüllt: Mein Job als Coach und viel Zeit auf dem Land. Zusammen mit meinem Mann, Freunden und vor allem: Wilma und Frieda.

Das Tolle ist ja, dass ich bereits vor 6 Jahren mein Leben komplett umgekrempelt hatte. Ich kann und werde also einfach da weitermachen, wo ich vor der Erkrankung aufgehört habe. Aber zusätzlich gönne mir noch mehr Auszeiten.

Sabine-Dinkel-Comic-Rasenmäher

Auch, wenn der Rasenmäher aussieht, wie ein Barbershop-Dingens: Ist mir egal, ich lass das jetzt so.

Daher reizt es mich noch mehr als ohnehin schon, meinen Klienten dabei zu helfen, endlich mit dem zu beginnen, was sie wirklich wollen. Zum Beispiel in dem im Interview erwähnten Workshop „Damit sich was tut – was will ich eigentlich?“

Ich habe mich nämlich entschlossen, dieses Jahr noch einen zu machen.

Bloß nicht ständig alles auf Später verschieben, es kommt ja oft doch anders, als geplant

Und seit letzter Woche weiß ich, dass sich die Mühen der letzen sieben Monate gelohnt haben. Die erste offizielle Kontrolluntersuchung hat ergeben, dass momentan alles prima aussieht. Keine Hinweise auf ein Rezidiv.

Mein Onkologe ist sehr zufrieden – und ich bin es auch.

Sabine-Dinkel-Comic-MRT

Endlich wieder durchschnaufen: „Alles in Ordnung, Frau Dinkel!“

Und jetzt lebe, workshoppe und coache ich erstmal munter und vergnügt weiter. :o

Und hier können Sie das Interview lesen:

Das Interview ist in der Ausgabe „August 2016“ der Apotheken-Zeitschrift „Frau und Gesundheit“ erschienen.

Gleich weiterstöbern:

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14 Kommentare zu “Arschbombe in die Untiefen des Lebens”

  1. Brigitte Müller sagt:

    Ich kann das nur alles unterschreiben Bei mir wurde auch vor 6 Jahren Brustkrebs diagnostiziert und dann kam gleich OP und Behandlung. 6 Chemos 34 Bestrahlungen. Ich habe mich dem Monster gestellt und bin heute gesund. Aber man darf den Humor nicht verlieren. Denn nur mit Humor lassen sich manche Situationen gut ertragen. Und das Leben danach ändert sich definitiv. Ich lebe bewusster. Lasse mir nichts aufdrängen was ich nicht möchte und habe zur Malerei gefunden. Das Leben ist schön. Genießt es.

    1. Liebe Brigitte,
      ich danke dir für deinen Mut machenden Kommentar.
      34 Bestrahlungen! Das ist wirklich viel. Wie toll, dass du das alles so gut hinter dich gebracht hast. Und dass du heute gesund bist!
      Der Lohn für diese Tortur ist ja wirklich das bewusstere Leben. Und ich freue mich sehr mit dir, dass du zur Malerei gefunden hast und das Leben genießt.
      Herzliche Grüße
      Sabine

  2. Sybille sagt:

    Hallo Frau Dinkel,

    schön, dass alles in Ordnung ist – ich freue mich sehr darüber!
    Auch ich kann Ihre Erfahrungen in mehreren Punkten bestätigen. Mein mittlerweile erwachsenes Kind ist mit einer schwerwiegenden chronischen Erkrankung geboren. Wir sind immer sehr offen damit umgegangen. Der Effekt war oft, dass sich andere dadurch ermutigt fühlten, ihrerseits ihr Herz zu öffnen und auszuschütten. Verdrängen, schweigen machen das Leben oft schwerer und Offenheit führt nicht nur dazu, dass man sich selber in dem Moment erleichtert, sondern auch dazu, dass man selber und das Gegenüber sehen kann, dass es anderen auch so geht, dass man also nicht alleine mit Problemen und Sorgen ist. Außerdem wird es so überhaupt erst möglich, sich gegenseitig durch dunkle Zeiten zurück ans Licht zu begleiten.
    Und ja, es klingt seltsam, aber so brüsk mit der eigenen Endlichkeit konfrontiert zu werden, birgt auch ein ungeheures positives Potential. Bei mir ist es zwar kein Krebs, aber die Diagnose einer laut Ärzten nicht heilbaren Erkrankung hat bei mir dazu geführt, dass ich kurz darauf einen ungeliebten Job gekündigt habe, mit dem Ziel von nun an das zu tun, was mir am Herzen liegt und so zu leben, dass ich auch morgen gehen kann. Ohne das hätte ich sicher nicht den Mut gehabt, diesen Schritt zugehen. Etwa zwei Jahre ist die Diagnose jetzt her und trotz körperlicher Einschränkung bin ich so glücklich und zufrieden wie nie zuvor.
    Von Herzen alles Gute
    Sybille

    1. Liebe Sybille,

      ich bin ganz beeindruckt von dem, was du schreibst. Vor allem der Satz „…so zu leben, dass ich auch morgen gehen kann.“ Der ist total berührend und aufwühlend.

      Es ist so schön zu lesen, dass du dich von dem alten Mist befreit hast und trotz der Diagnose so glücklich und zufrieden bist. Das ist das positive Potential, von dem du schreibst. Klasse!

      Auch dir und deinen Lieben wünsche ich von Herzen alles Gute
      Sabine

  3. Krebs ändert immer die Prioritäten.
    Weil man plötzlich realisiert, dass der Tod keine abstrakte Sache ist, sondern wir tatsächlich alle sterblich sind.
    Und dass das Leben kostbar ist.

    Wichtig ist bei Krebs, wie bei anderen Krankheiten auch, die Vorsorge. Je früher man der Erkrankung auf die Spur kommt, umso eher heilbar.
    Leider kündigen sich viele Krebsarten nicht durch Schmerzen oder Symptome an. Und wenn, ist es schon ziemlich spät.

    Das gilt speziell für den Prostatakrebs. Da Männer gemeinhin seltener zur Vorsorge gehen, habe ich auf meinem Blog einen langen Artikel dazu geschrieben.
    Passend zum Tabuthema wurde er zwar viel gelesen, aber überhaupt nicht kommentiert.
    Ich verlinke ihn hier mal: http://goo.gl/GrrCgm

    In der Hoffnung, dass Ihren Beitrag viele Frauen lesen – und einige davon dann ihren Mann zur Vorsorge schicken.
    Ihnen alles Gute und viel Kraft, liebe Frau Dinkel.

    1. Hallo Herr Kopp-Wichmann,

      vielen Dank für Ihren Kommentar und das Aufrütteln.

      Das mit der Vorsorge ist ja wirklich ein zweischneidiges Schwert. Obwohl ich immer regelmäßig dort war, wurde mein Krebs erst entdeckt, als es fast zu spät war.

      Ich habe mir Ihren Artikel zum Thema „Prostatakrebs“ angeschaut und bin ganz begeistert von dem Interview mit Uli Roth.

      Bei meiner Reha habe ich viele Prostata-Erkrankte kennengelernt, die wieder zu Kräften gekommen sind. Das macht Mut.

      Herzliche Grüße
      Sabine Dinkel

  4. Angelika sagt:

    Liebe Sabine, ich finde die Comics super! In meiner Familie gibt und gab es einige Krebspatienten und wir haben zusammen gelacht und geweint in vielen Situationen. Die Comics laden zum Lachen und verarbeiten ein. Ich kenne einige Frauen die derzeit aufgrund der Chemo keine Haare haben, ihr Leben aufgrund des „Wachrüttelns“ überdenken und sich ihren Traum von Selbständigkeit erfüllen möchten und kein Foto auf FB posten, weil sie sich nicht trauen. Das Selfie mit Perücke ist cool oder ein Selfie in Comic-Variante auch. Herzliche Grüße, Angelika Buchmayer

    1. Liebe Angelika,
      ganz herzlichen Dank für deinen Kommentar und die ermutigende Schilderung aus deiner Familie.
      Ich finde es ganz toll, dass ihr zusammen gelacht und geweint habt. Das gehört auch unbedingt zusammen.
      Ein Selfie ganz ohne Haare hab ich mich auch noch nicht getraut, zu zeigen. Kommt vielleicht noch, wenn ich wieder welche habe, die man zu einer pfiffigen Frisur machen kann. :o)
      Liebe Grüße
      Sabine

  5. Liebe Sabine,

    sei ganz herzlich gegrüßt. ein wunderbarer Artikel! Jede soll es so machen,wie sie sich gut fühlt – sich zeigen oder verschweigen. Deine Comics sind soooooooooo toll (dein Text dazu eh!) und das hier ist ein wunderbarer Satz: „Es kann eine Befreiung sein, dem Tod mal scharf ins Auge zu blicken“. Wie wahr. Das Leben wird dann das, was es schon immer war: kostbar. Ich wünsche dir ganz ganz viel davon.

    Herzensgrüße
    Sylvia (unbekannterweise, eine Internetschwester)

    1. Liebe Internetschwester Sylvia, :o))

      vielen Dank für deinen herzlichen Kommentar!
      Ich übe gerade, mit meinem kostbaren Leben wohlmeinend umzugehen.
      Mal klappt das prima, mal nicht so. Aber ich bleibe dran!

      Ganz liebe Grüße
      Sabine

  6. Das ist ganz wunderbar! Deine Comics. Deine Haltung. Und deine Perücke.

  7. Oh, welch eine Ehre, dass „die Notaufnahmeschwester mit dem witzigen Blog“ hier bei mir kommentiert! Danke!

  8. Steffi Usbeck sagt:

    Liebe Sabine Dinkel,
    Danke für dein tolles Buch. Es ist das beste, was ich zu dem Thema Krebs gefunden habe.
    Geht es Dir immer noch gut? Würde mich freuen. Ich selbst habe dasselbe wie du. Auch immer zur Vorsorge, sogar im Mai 2016 eine Gebärmutter OP, bei der die Eierstöcke eingehend untersucht wurden und extra nicht entfernt wurden, weil ich zu jung war sind alles in Ordnung (incl. Biopsie).
    Und im Mai 2017 bin ich dann als Notfall eingewiesen worden und hatte schon Stufe IV.

    Es gibt auch Kismet.
    Wir sind noch allmächtig.
    Wir sind nicht an allem „selber schuld“.

    Dir alles gute und weiterhin frohen Mut.

    Steffi

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